Bei der Pestepidemie in Nidda von 1555, in der er alle Kinder bis auf Johannes d.J. verlor, blieb Pistorius als helfender Pfarrer in Nidda. Ein tragisches Unglück nahm ihm 1560 seine Ehefrau.
Ausschnitt aus: Die Reformation und ihre Kinder dargestellt an:
Vater und Sohn Johannes Pistorius Niddanus.
Eine Doppel-Biographie, Nidda 1994, S. 46-48
(Hans-Jürgen Günther)
Gern kehrte Pistorius in sein Pfarrhaus zurück, sei es von dienstlichen Besuchssreisen oder von den Unternehmungen, für die ihn sein Fürst ausgewählt hatte. Warteten doch in Nidda die liebsten Menschen, die ihm auf Erden noch geblieben waren: sein bald zwölf Jahre alter, jetzt einziger Sohn Johannes, an dem er viel Freude hatte, und seine Frau Margaretha. Stets war sie in Sorge, wenn ihr Mann wegen der Religionsstreitigkeiten lange und damals gefährliche Reisen unternehmen mußte, und sie bat Christus, daß ihr Mann immer wohlbehalten zurückkehre.
Den auch körperlichen Strapazen, welche die Visitationen in seiner Diözese mit sich sich brachten, war er noch gewachsen, auch wenn der jetzt Mitfünfziger bisweilen von Beschwerden spricht.
Ganz anders seine vitale vierundvierzigjährige Frau, der verbliebene gute Geist des Hauses und der Stadt Nidda. Sie kann jetzt zwar nur noch für ein Kind sorgen, mit ihm beten. Der Alltag fordert sie: sie spinnt, näht, arbeitet von früh bis spät. Die Frau des Superintendenten sticht den Garten selbst um und bestellt ihn. Sie unterstützt tatkräftig - in einer Zeit ohne soziales Netz - die in Armut gestürzten Witwen Niddas, tut den Waisenkindern in der Gemeinde viel Gutes.
Am 14. April 1560 hätte das Ehepaar Pistorius auf eine 25-jährige, glückliche Ehe zurückblicken können, hätte es nicht den herben Verlust von sieben Kindern hinnehmen müssen. Wie berichtet wird, hat Pistorius noch jahrelang seine Frau deshalb zu trösten versucht.
In einem umfangreichen Gedicht (es wurde noch nicht übersetzt und veröffentlicht!) geht der befreundete Pfarrer Wilhelm Lotichius aus Ulfa (+ 4.7.1571) zunächst auf jedes einzelne Kind ein, kommt dann auf die Lebensleistungen der Eltern Johannes und Margaretha Pistorius zu sprechen.
Kunstvoll läßt er daraus einen Dialog erwachsen. Margaretha wird immer wieder von Schmerz überwältigt, wenn sie an die Kinder denkt, die sie getragen und gestillt, deren erstes Lallen und unbeholfenes Gehenlernen sie erlebt hat.
Ihr Mann tröstet sie, sagt, daß sie es jetzt besser hätten. Sie läßt sich aber nicht einfach trösten. Johannes zählt auf, was an schlimmen Dingen in der Welt ihnen nunmehr erspart bleibt: weitere schlimme Krankheiten, Hunger, Kriege, Erdbeben, unheilvolle Himmelserscheinungen (Finsternisse, Kometen), die Beschwerden und Gefahren die die unterschiedlichen Lebensaltersstufen betreffen, Gewaltherrschaft durch Regenten, Armut, Gefahren des Reichtums, harte Arbeit, Unglück.
Zum Schluß der Ausführungen fügt sich Margaretha in ihr Schicksal und verzweifelt nicht, ja bittet sogar Gott um Verzeihung wegen ihrer Klagen.
Es war ein Freitag, der Tag nach Christi Himmelfahrt. Das Ehepaar Pistorius war allein zu Haus, ihr Sohn Johannes hielt sich in Marburg auf. Margaretha Pistorius (44 J.) war morgens in der alten Johanniterkirche gewesen, hatte einen Pferdewagen gemietet und fuhr stadtauswärts in Richtung Oberschmitten, ihren Geburtsort. Ihr Mann hatte sie gebeten Lehm zu holen, weil man augenscheinlich für eine Ausbaumaßnahme Feldbrandziegel herstellen wollte.
Das Folgende ist die erste Übersetzung eines im Dezember 1993 aufgefundenen lateinischen Berichts, der in Versform im März 1561 in Eckhardshausen verfaßt wurde. Der Autor ist der Pfarrer Wendelin Helbach (+ 13.12.1588).
Als Zeitzeuge der Reformationszeit, der Luther(+1546) und Melanchthon(+1560) um Jahrzehnte überlebte, verfaßte Pistorius bis 1580 eine Reformationsgeschichte. Das Manuskript und
Tod und Nachruf
"Clariss. praestanti Doctrina et Pietate viro D. Johanni Pistorio Niddano Seniori, Hassicae ditionis Superintendenti et Parocho, Patrono pauperum et ornamento Patriae totiusque Germaniae, cum LX continuos annos domi in Hassia et Foris in Comitiis in Propaganda Religione consum(ps)isset, et annos LXXX. in perpetuo gloriae cursu omnium hominum benevolentia sanctissima vixisset, in gravissima des constanti adhuc placide et in summa Religione mortuo parenti suo cariss., Johannes Pistorius filius unicus, Medicinae Doctor, ad testandum suam erga benemeritum parentem benevolentiam maestus (hoc monumentum fecit).P(ost).C(hristum). mortuus est anno M.D.LXXXIII Januar. die XXV, hora II. pomeridiana, Nidae."
"Dem durch seine ausgezeichnete Gelehrsamkeit und Frömmigkeit weitberühmten Manne Dr. Johannes Pistorius dem Älteren von Nidda, dem Superintendenten des Hessenlandes und Pfarrer, dem Beschützer der Armen und der Zierde seiner Heimat und ganz Deutschlands, nachdem er 60 Jahre lang daheim in Hessen und außerhalb auf Reichstagen damit verbracht hatte, die Religion zu fördern, und nachdem er 80 Jahre lang in beständig ruhmvoller Laufbahn in der Zuneigung und Verehrung aller Menschen gelebt hatte und in einem sehr hohen, aber doch noch rüstigen Alter sanft völlig gottergeben gestorben war, ihm, seinem hochgeliebten Vater, hat dessen einziger Sohn Johannes Pistorius, Doktor der Medizin, zur Bezeigung seiner dankbaren Gesinnung um den so hoch verdienten Vater, tiefbetrübt dieses Denkmal errichtet. Er starb zu Nidda im Jahr 1583 p.Ch.n., am 25. Januar, nachmittags um 2 Uhr."
Am 30. Oktober 2011 wurde Johannes Pistorius d. Ä. in seiner Heimatstadt Nidda eine besondere Ehre zuteil. Das renovierte Gemeindehaus der evangelischen Pfarrgemeinde erhielt seinen Namen.
Nidda, Johanniterturm
(Foto: Sven Steschke)
Die Inschrift des Grabsteins ist überliefert. Sein einziger Sohn Johannes, der bis zum Tode seines liebenswürdigen und weisen Vaters ein nachweislich herzliches Verhältnis zu ihm hatte, verfaßte sie persönlich.
Vorrede in: M. Eychler, Christlicher...Bericht, wie Pfarrherren
in dieser pestilentzischen Zeit und auch sonsten, die armen krancken Leut
ohne Gefahr alle besuchen und trösten können..., 1578, HAB Wolfenbüttel: A2r-B3v 8°
Faksimile aus: NIGRINUS, GEORG; LOTICHIUS, GVILIELMIUS;
diess. Quelle, S. 27: "Im Jahre 1504, im bayrischen Krieg, in dem auch der edle Landgraf von Hessen, Philipp,
geboren wurde, kam Johannes Pistorius auf die Welt." S. 27
merke wohl, welche Jahreszahlen ich aufzählen werde.
Dein Vater erblickte gerade in dem Jahr gesund das Licht der Welt
Als der trutzige Rheinländer die Bayern mit Waffen angriff,
in welchem Hessen froh über seinen Landgrafen Philipp war,
der mit Herrschaft die Stämme der Chatten zusammenhält.
Wenn du zu fünfzehnhundert Jahren vier hinzufügst (1504)
seit der Geburt des Himmelsfürsten, dann hast Du den Zeitpunkt“
VIETOR, IUSTUS; HELBACHIUS, VENDELINUS:
Elegiae aliquot de morte liberorum et venerandi viri &
Theologi clariss. D. Johannis
Pistorij urbis et comitatus
Niddani Pastoris et Superintendentis, Frankfurt 1564, S. 9
Hans-Jürgen Günther, Die Reformation und ihre Kinder dargestellt an: Vater und Sohn Johannes Pistorius Niddanus. Eine Doppel-Biographie,
Nidda 1994, 74-238 (hier sind sämtliche Werke sowie die Sekundärliteratur aufgeführt);
ders.:
Pistorius, Johannes d.J. (auch Niddanus): Lexikon für Theologie und Kirche (Freiburg 1999), Bd. 8, 319f
ders.:
Pistorius d. Ä. (Niddanus): Neue Deutsche Biographie (herausgegeben von der historischen Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2001), Bd. 20, S. 486f
ders.:
J. Pistorius Niddanus, Vater und Sohn - Zwei Niddaer Persönlichkeiten im Jahrhundert von Reformation
und katholischer Reform: Artikel in "NIDDA - Die Geschichte einer Stadt und ihres Umlandes" (2003) 123-134
ders.:
Pistorius, Johannes d.Ä., in: Killy Literaturlexikon, Bd.9, Berlin 2011, S. 247f.
NIGRINUS, GEORG LOTICHIUS, GVILIELMIUS, VIETOR, IUSTUS. HELBACHIUS, VENDELINUS:
Elegiae aliquot de morte liberorum et coniugis venerandi viri & Theologi clariss. D. Johannis Pistorij urbis et comitatus Niddani Pastoris et Superintendentis, Frankfurt 1564
Foto: Philip Charles - NGA Wash.DC
Zu Johannes Pistorius Niddanus d.J.,
* 14.2.1546 Nidda (daher: Niddanus), + 19.6.1608 Freiburg (Breisgau).