Römischer Barock am Beispiel von Gian Lorenzo Bernini

Kunsthistorische Einführung

Seit etwa hundert Jahren begreifen wir den Barock als eigenständigen Kunststil zwischen Renaissance und Klassizismus. Der im Barock tätige Künstler wußte also gar nichts vom Barock. Der röm. Barock erstreckt sich etwa von 1590 bis 1760. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts wurde diese Kunstrichtung mit dem Wort "baroque", das schlechter, regelwidriger Geschmack bedeutet, benannt. Diese ursprünglich negative Bezeichnung rührt daher, daß der Barock als späte Phase der Renaissance angesehen wurde und somit als deren Verfall und Entartung.
Doch seit 1860 haben mehr und mehr Künstler Gefallen an dieser Stilrichtung gefunden. Man gelangte zu der Ansicht, daß der Barock sich um 1520 in Rom aus der Renaissance heraus und im Gegensatz zu dieser entwickelt habe. Doch auch dies mußte wieder korrigiert werden, als man bei der zweiten Phase der intensiven Barockforschung den Manierismus als selbständigen Zeitstil erkannte. Es gilt nun vieles, was früher noch als barock bewertet wurde als manieristisch. Man setzte nun die Entstehung des Barockstils in Rom auf etwa 1600 an und betrachtete ihn als antimanieristische Bewegung. Natürlich dürfen wir nun nicht alles, was in dieser Zeit geschaffen wurde blindlings als Barock bezeichnen: Denn nicht alles, was in der letzten Phase des Barock entstand, wird diesem angerechnet, sondern wird teilweise bereits zu darauffolgenden Stilrichtungen wie dem Rokoko gezählt.
Der Barock konnte sich vor allem in katholischen Ländern entfalten, da sich die katholische Kirche mit ihm vom Protestantismus abgrenzen wollte und ihn daher sehr unterstützte. Vom vorangegangenen Manierismus übernahm er die Dynamik und von der Hochrenaissance die Pracht und Erhabenheit.
Dieser Stil eignete sich besonders gut zum Ausdruck intensivster religiöser Gefühle. So war auch Bernini, wie viele andere barocke Künstler tief religiös. Aber auch in der weltlichen Kunst erblühte der Barock. Als Geburtsstunde des röm. Barock können wir den 18. November 1593 ansehen, an welchem das vergoldete Gipfelkreuz auf der eben vollendeten Kuppel des Petersdomes aufgerichtet wurde. Michelangelo öffnete mit dieser Kuppel, die alles Vorangegangene übertraf, den Weg für die barocke Kunst. Die Kuppel, die trotz ihrer riesigen materiellen Ausmaße eine Illusion aufstrebender, schwebender Belebung erweckt und sowohl von Nahem, als auch von Weitem betrachtet als Ganzes erscheint war das Neue, Einzigartige und für den Barock von nun an schlechthin Vorbildliche.
Ziel war nun nicht mehr das Bauwerk als kompositionelle Einheit zu gestalten, die vom Verstand genau berechenbar ist, sondern man wollte eine bildhafte Ganzheit erreichen, das unser Auge sofort erfaßt. Das darzustellende Thema sollte das Kunstwerk regieren. Die Architektur wurde Bildwerk und Bauwerk in einem. Doch die Entwicklung des Barock war mit Michelangelo keineswegs abgeschlossen. Man könnte ihn gewissermaßen als Stammvater betrachten und seine Kinder nutzten die Basis um sich von ihr ausgehend weiterzuentwickeln. Als Inbegriff des röm. Barock wird heute daher oft Giovanni Lorenzo Bernini bezeichnet, auf dessen Leben und Werk ich im nun folgenden Teil genauer eingehen möchte.

Das Leben Berninis

Giovanni Lorenzo Bernini (1598-1680) war Bildhauer, Architekt und Maler. Er entstammte einer Bildhauerfamilie und seine außerordentliche Begabung wurde schon früh erkannt. Bereits im Alter von acht Jahren soll er in der Werkstatt seines Vaters selbständig Skulpturen angefertig haben. Bald erhielt er Aufträge von hohen röm. Klerikern. 1609, also im Alter von 11 Jahren, erhielt er den ersten päpstlichen Auftrag. Bernini war zwar künstlerisch in vielen Bereichen begabt aber vor allem in der Bildhauerei zeigte sich seine Genialität. Seine Perfektion und Meisterschaft in der Bearbeitung des Steines machten ihn weit bekannt. Es war für ihn ein Leichtes ohne jegliche Berechnung oder Hilfskonstruktion Figuren aus dem Stein herauszumeißeln und das in ungeheurer Geschwindigkeit. Durch seine besondere Oberflächengestaltung, die bis ins kleinste die Zusammenhänge zwischen Haut und darunterliegenden Muskeln und Knochen aufzeigt erreichte er eine bis dahin ungesehene Weichheit des Gesteins. Zwischen 1618 und 1625 schuf er für den Kardinal Scipione Borghese die berühmten mythologischen Skulpturengruppen "Äneas und Anchises", "Pluto und Persephone", "Apollo und Daphne" und "David", die man heute noch in der Villa Borghese in Rom besichtigen kann. Mit diesen Werken begründete Bernini seinen unsterblichen Weltruhm.
Berninis Leben war sehr eng mit dem Papsttum verknüpft und läßt zweifelsohne seine Größe aber auch die Unfreiheit und Abhängigkeit des barocken Hofkünstlers erkennen. Sein gesamter Lebensweg und sein Schaffen wurden von seinen Auftraggebern bestimmt. Durch die Unterstützung des Papstes Urban VIII. wurde er zum leitenden Architekten von St. Peter, obwohl er nie eine Ausbildung zum Architekten durchlaufen hatte. Auf Wunsch dieses Papstes mußte er sich aber auch für zwei Jahre allen anderen Aufträgen entziehen, um sich ganz und gar der Malerei zu widmen.
Erstmals gelang es auch anderen Bildhauern päpstliche Aufträge zu erlangen, als 1644 Papst Innozenz X. gewählt wurde, der die Günstlinge seines Vorgängers vertrieb und Berninis Werkstatt nur noch selten mit Aufträgen betraute.
Da Berninis Ansehen nun aber schon so sehr gefestigt war, erhielt er bald viele Privataufträge. Darunter war auch die Ausstattung der Cornaro-Kapelle in Rom(1645-53), wodurch die berühmte "Vision der heiligen Theresa" entstand.
1655 wurde Papst Alexander VII. gewählt, der die großzügige Kunstpolitik UrbansVIII. wieder aufleben ließ. Bernini gelangte nun erneut zu entscheidendem Einfluß am Hof des Papstes.
Berninis enge Beziehung zu seinen päpstlichen Auftraggebern hat zwar seine gesellschaftlich hohe Stellung und seinen finanziellen Aufstieg enorm begünstigt aber sie führte auch zu Rückschlägen. Sein Werk war von starker Anpassung an seine Auftraggeber geprägt, sowohl was Thema, als auch Medien, in denen er arbeitete betraf. So fertigte er zum Beispiel zur Zeit UrbansVIII. an die 150 Gemälde, nach dessen Tod aber kein einziges mehr. Ohne Zustimmung des Papstes durfte Bernini zu keiner Zeit Aufträge von anderen Auftraggebern übernehmen, auch nicht für den französischen oder englischen König. Erst als es politisch vorteilhaft erschien wurde der nun 66-jährige nach Paris gesandt um dort die Umgestaltung des Louvre zu leiten, obwohl Frankreich schon jahrelang um ihn geworben hatte.
Bernini wurde durch seine Werke weltberühmt und beeinflußte als Lehrmeister viele Künstler nachhaltig. Am 22. Mai starb er infolge einer schweren Krankheit.

Das Werk Berninis

Zu den Hauptwerken Berninis in Rom zählen das Bronzebaldachin für den Papstaltar in St. Peter, das Grabmahl Urbans VIII., die Verzückung der heiligen Theresa in santa Maria della Vittoria, Apollo und Daphne, der Vier-Ströme-Brunnen auf der Piazza Navona, die Kolonnaden des Petersplatzes, Sant'Andrea al Quirinale und die Scala Regia im Vatikan.
Zum Schluß meiner Arbeit möchte ich nun Berninis barocke Kunst an drei Beispielen, sowohl aus seinen architektonischen, als auch aus seinen bildhauerischen Werken näher erläutern. Es sind dies die Gestaltung des Petersplatzes, die Mamorgruppe Apollo und Daphne und die Scala Regia.

Der abstrakte ovale Grundriß gewinnt, wegen der Öffnung zur Basilika, von der er durch den trapezförmigen Vorplatz fast 100 Meter abgerückt ist, die Erscheinung von ausgreifenden Armen.
Die strenge Form der Kolonnaden bildet in vierfacher Reihung vom Statuenheer geschmückt, eine durchgängige und dennoch lockere Wandung. Die Kolonnaden nehmen nach hinten hin ab, ohne daß wir es bewußt wahrnehmen. Dadurch wird die Illusion vermittelt, daß der Platz noch größer sei. Wie im Barock üblich ist das Detail dem Ganzen untergeordnet. Weil die Architektur an jeder Stelle auf Nah- und Fernsicht eingestellt ist, bleibt unser Körpergefühl und Augeneindruck beim Anblick dieser kolossalen Bauwerke in Balance. Berninis Architektur gibt sich bei aller Mächtigkeit und Größe doch festlich, heiter und gelöst. Ganz im Geiste des barocken Roms. So ist auch der Ausspruch Wölfflins zu verstehen "Der schwere Ernst scheint sich zu heben, die Formen atmen freudiger", hatte doch Bernini mit seiner Interpretation 100 Jahre nach Michelangelos Tod aus der 1506 begonnenen Peterskirche etwas ganz Anderes, Neues geschaffen.

Bernini vergegenwärtigt in seiner lebensgroßen Mamorgruppe, die er 1625 vollendete, als Moment, was die Dichtung als Vorgang erzählt.
Bernini: Apollo und Daphne, 1622-24
(Galleria Borghese, Rom)
Zugrunde liegt dieser Skulptur eine Erzählung aus den Metamorphosen des Ovid. Daphne soll sich, um sich vor dem begehrenden Zugriff Apollos zu entziehen in einen Lorbeerbaum verwandelt haben, nachdem sie Diana um Hilfe angefleht hatte. Bernini wählte für seine Plastik einen Moment, in dem der Gott Apollo die Nymphe Daphne noch leichtfüßig verfolgt und sie auch schon fast erreicht hat, diese sich aber durch ihre gerade beginnende Verwandlung ihm entzieht und somit für immer unerreichbar wird. Bernini stellt hier das Thema an erste Stelle und versteht es, dieses zu vermitteln. Diese Plastik, in der Bernini Relief und Statue verband, besitzt eine Schönheit, die lebendig wirkt und keineswegs zum gefrorenen Bild erstarrt. Die Oberfläche hat Bernini durch abwechselnde Polierung fernsichtig gestaltet, was bedeutet, daß diese so wirkt, als sähe man sie aus der Ferne. Andererseits beherrschen die großen Kompositionslinien von jedem Blickpunkt aus das Detail. Es entsteht ein Schwingen und Schweben, das durchaus dem Thema entspricht, dem Berninis Gruppe ihren poetischen Reiz verdankt. Durch Berninis rein plastische Methode der Bohrung, Politur und gleitenden Modellierung entsteht eine eigene Farbwirkung. Dies meinte Bernini, als er 1665 sagte, daß ein guter Porträtist die Farberscheinung eines Gesichts in Mamor übersetzen können müsse und nicht durch die Farblosigkeit der Form ersetzen dürfe, denn das Weiß des Steins töte den Eindruck des Lebendigen.

Bernini: Scala Regia, 1663-66
(Rom, Vatikan)
Die Scala Regia ist eine großartige Treppenanlage, die die Peterskirche mit den Gemächern des Vatikan verbindet. Sie wurde in den 60er Jahren von Bernini erbaut. Eigentlich war die Scala Regia durch die einerseits von St. Peter und andererseits von dem vatikanischen Palast vorgegebenen Proportionen recht ungünstig anzulegen. Doch Bernini verstand es die Vorgabe eines langen, verhältnismäßig schmalen und sich nach Osten verjüngenden Raumabschnittes zu seinem Vorteil zu nutzen. Er erbaute nämlich tonnengewölbte Kolonnaden mit sich allmählich verringernden Abmessungen, wodurch die Scala Regia mit ihrer dezent abnehmenden Höhe und Breite den Eindruck einer Raumtiefe vermittelt, die weit über die wirklichen Dimensionen hinausgeht.
Die Scala Regia ist der Haupteingang zum Vatikanischen Palast. Man erreicht sie von den Kolonnaden kommend am Ende eines Korridors, der zunächst unmerklich in das Treppenhaus übergeht. Erst nach etwa 10-20 Stufen gibt es eine Unterbrechung, nämlich genau da, wo von links die Vorhalle der Peterskirche einmündet. Das architektonische Problem lag an dieser Stelle darin, die orthogonal aufeinandertreffenden Richtungen in eine überzeugende Beziehung zu setzen. Um dies zu erreichen stellte Bernini das Reiterdenkmal des Kaisers Konstantin direkt gegenüber der Einmündung der Vorhalle auf. Kommt man nun von den Kolonnaden her und steigt besagten Korridor hinauf, so fühlt man sich an dieser Stelle bewogen innezuhalten und das Denkmal zu betrachten, bevor man seinen Weg über die eigentliche Treppe fortsetzt. Kommt man von der Peterskirche her, läßt der Anblick des sich aufbäumenden Pferdes, das von hochliegenden Fenstern scharf beleuchtet wird, die Richtungsänderung vergessen. Die gesamte Scala Regia bildet nun gewissermaßen die rauschende Ouvertüre zum Vatikanischen Palast und wird durch die prunkvolle barocke Dekoration vollendet. Über dem Eingang sind zum Beispiel prachtvolle trompetende Engel zu sehen, die das päpstliche Wappen emporhalten. Wesentliche Motive der barocken Dekoration wie Statuen von Engeln oder Genien mit realistischer Farbgebung dienen nicht nur dazu das konstruierte Baugefüge zu verhüllen und die Hilfsmittel der szenischen Illusion zu verbergen, sondern sie wollen auch eine Verbindung zwischen "dem realen Raum unseres Daseins und dem imaginären Raum der künstlerischen Gestaltung" schaffen. Es war den barocken Künstlern immer daran gelegen die Trennung zwischen dem Betrachter und der "Bühne" aufzuheben. Der Betrachter sollte miteinbezogen werden.

Ich freue mich nun darauf, das ganze Wissen, das ich mir für dieses Referat angelesen habe schon bald mit eigenen Augen auf unserer Studienfahrt in Rom zu beurteilen und hoffentlich noch viele andere Aspekte erkennen zu können.

Quellennachweis:





Römischer Barock am Beispiel von Gian Lorenzo Bernini

Friederike Nebel
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