Das Jahrhundert des republikanischen Verfalls-
Gracchen, Marius, Sulla, Pompeius, Caesar, Cicero

Der adlige Volkstribun Tiberius Gracchus erkannte 133, daß der Zustrom verarmter Kleinbauern nach Rom die Wehrkraft senken mußte, da sich jeder selbst mit Waffen und Verpflegung ausrüsten mußte und das römische Heer zum größten Teil aus Kleinbauern bestand. Weil Rom so an die Grenzen seiner militärischen Möglichkeiten stieß, leitete er eine Agrarreform ein, bei der den Senatoren ein Teil ihres okkupierten Staatslandes enteignet und mittellosen Römern zugeteilt werden sollte. Die Nobilität leistete allerdings Widerstand, so daß Tiberius und seine Anhänger schließlich ermordet wurden und die Agrarreform nicht durchgeführt wurde.
Zehn Jahre später bemühte sich Tiberius' Bruder Gaius Gracchus, die Anstrengungen seines Bruders fortzusetzen, indem er versuchte, den Gruppen, die unzufrieden waren, Zugeständnisse zu machen, er beschaffte dem Ritterstand zusätzliche Ämter und senkte per Gesetz den Getreidepreis in Rom. Zudem erkannte er den Latinern und anderen Bundesgenossen das römische Bürgerrecht an. Ihm gelang es aber nicht, den Widerstand des Senats zu durchbrechen, da dieser den mittellosen Bauern selbst Zugeständnisse machte, deshalb wurde Gaius nicht als Volkstribun wiedergewählt und schließlich mit seinen Anhängern getötet.
Durch diese gescheiterten Reformversuche wurde deutlich, daß sich die Nobilität gespalten hatte in die konservativen Optimaten, die auch als Senatspartei bezeichnet wurden, und die Volkspartei der Popularen, die die Forderungen des Volkes aufgriff und mit Hilfe der Volkstribunen und der Volksversammlung durchsetzen wollte.
Nach den Ereignissen in den Tribunatsjahren der beiden Gracchen bildeten sich immer offener zwei Parteisysteme heraus, die schon erwähnten Optimaten und Popularen. Die ersteren waren eine Partei der reichen, meist adelig-senatorischen Oberschicht, während die Popularen die Proletarier und die römischen Ritter vertraten. Man darf aus unserer heutigen Sicht heraus aber nicht den Fehler begehen, diese beiden "Parteien" etwa mit heutigen zu vergleichen (z.B. CDU/SPD). So ein Vergleich wäre völlig unzulässig, da die damaligen "Parteien" mit heutigen nichts gemein haben; sie hatten kein klar formuliertes Parteiprogramm oder öffentliche Richtlinien, sie waren nicht einmal öffentlich organisiert. Es gab keine Oberorganisation, welcher man beitreten konnte. Die Zugehörigkeit wurde durch Geburt oder persönliche Entscheidung bestimmt. Wenn einem die Wahl offenblieb, entschied man sich nicht für die eine oder die andere Gruppe, weil diese die eigenen Ideale am ehesten vertrat und man versuchte, für diese einzutreten, sondern weil sie einem die günstigsten und schnellsten Aufstiegsmöglichkeiten offerierte. Die Parteilandschaft des alten Roms war durch Eigensucht und Egoismus geprägt und den einzigen, denen man bescheinigen könnte, daß sie es mit ihrem Klientel ernst gemeint hatten, waren wohl die Gracchen. Auch Caesar trifft von seinen Kritikern der Vorwurf, populare Programmatik nur übernommen und durchgeführt zu haben, um seinen (langsamen) Aufstieg zu ermöglichen. Befürworter Caesars glauben bei ihm jedoch ein Verhältnis zu der popularen Schicht erkennen zu können, was durch angemessene Dankbarkeit geprägt ist, soll heißen, das Caesar, als er die Spitze endlich erreicht hat, dennoch die an sein Klientel gemachten Versprechungen erfüllt.
118 starb Koenig Micipsas von Numidien, welches ein afrikanischen Staat war, der sich nach dem zweiten Punischen Krieg das Gebiet Karthargos einverleibt hatte und nun ein Vasallenstaat Roms war. Micipsas war ein fähiger Herrscher und direkter Nachfahre Massinissas gewesen, der erst auf Seiten der Kartharger und dann unter Scipio gegen sie gekämpft hatte. Sein Reich erbten seine Söhne Adherbal und Hiempsal, sowie der Adoptivsohn Jugurtha. Jugurtha sollte bald für einen der größten Bestechungsskandale der römischen Geschichte stehen. Jugurtha, der als junger Krieger an der Eroberung Numantias in Iberien unter dem Sohn Scipios teilgenommen hatte, gab sich nicht zufrieden, daß das Numidische Reich zwischen ihm und seinen Adoptivbrüdern, denen das Land eigentlich zugestanden hätte, aufgeteilt werden sollte. Bei Verhandlungen über die Reichsaufteilung ließ er Hiempsal ermorden, Adherbal konnte fliehen und seinen Reichsteil weiterhin beanspruchen. 116 stimmte Rom einer Reichsteilung zwischen Jugurtha und Adherbal zu ("Divide et impera" / "Teile und Herrsche"), obwohl ersterer nur durch Gewalt in die Thronfolge eingebrochen war. Warum ließ Rom dieses gewalttätige Treiben ueberhaupt zu, denn eigentlich war es die Schutzmacht Numidiens und hätte dessen rechtmässigen Thronerben schützen müssen? Die Antwort ist einfach: Jugurtha hatte einen großen Teil der römischen Nobiltät gekauft. Ein Teil des Senats war also bestochen und wann immer der gutgläubige Adherbal eine Gesandschaft mit der Bitte nach Unterstüzung gegen die Übergriffe seines Adoptivbruders nach Rom schickte, mußte sie unverrichteter Dinge abreisen, da bestochene Senatoren jede Entscheidung zuungunsten Jugurthas blockierten. Die Senatoren, die wieder einmal den Hals nicht voll genug kriegen konnten, zeigen uns erneut, wie sehr sich die Dekadenz schon ausgebreitet hatte, obwohl diese den Herrschenden eigentlich erst für die Kaiserzeit attestiert wird. Dennoch zeigt sich auch die Republik in dieser Zeit von einer besonders üblen Seite (wir erinnern uns: während der Gracchen gaben noch die Proletarier ein trauriges Bild ab).
Die Senatsmitglieder waren allerdings nicht die einzigen, die den Hals nicht voll genug kriegten, denn Jugurtha war mit dem Erreichten unzufrieden. Nachdem er immer wieder marodierende Einheiten in Adherbals Gebiet entsendet hatte, griff er schließlich ganz offen an und eroberte 112 die Hauptstadt Cirta. Jugurtha ließ Adherbal hinrichten, nebst der gesamten männlichen Bevölkerung der Stadt. Dies betraf allerdings auch einige italische Händler, womit der Senat endlich zum Eingreifen gezwungen wurde. Dennoch, auch dieses nun erfolgende Eingreifen, welches in den Jugurthinischen Krieg überging, wurde alles andere als mit vollem Elan durchgeführt, denn noch immer hatte Jugurtha einen Teil der römischen Oberschicht in seinen "goldenen" Händen. 111 ging Consul L. Calpurnius Bestia nach Numidien, um dort endlich für Recht und Ordnung zu sorgen, doch er schloß bald einen für Jugurtha sehr vorteilhaften Frieden. Daraufhin lud der Tribun C. Memmius Jugurtha nach Rom, wo ihm wegen der Bestechungsvorwürfe gegen ihn der Prozeß gemacht werden sollte. Jugurtha aber gab nicht viel um diese Einladung (sozusagen gar nichts) und ließ stattdessen einen Zeugen gegen ihn durch seine Anhänger ermorden. Der Krieg ging weiter.
Anfang des Jahres 109 mußten die Römer in Numidien eine schwerwiegende Niederlage hinnehmen. Endlich wurde die Situation in Rom unhaltbar und der Tribun C. Mamilius Limetanus setzte mit Hilfe der Ritter (die auch als Richter fungierten) ein Sondergerichtsverfahren gegen Adelige durch, dank derer der Krieg bisher so schleppend und erfolglos verlaufen war. 109 bis 108 führte dann Q. Metellus einen recht erfolgreichen Kleinkrieg gegen Jugurtha, bis er die Bühne für einen Mann räumen mußte, der von da an das politische Geschehen in Rom in seine Hand nehmen sollte, wie kaum ein anderer vor ihm.

Die Rede ist von Marius, einer der sicherlich erstaunlichsten Erscheinungen der römischen Geschichte. Marius war ein einfacher Mann vom Lande, der Sohn eines Bauern oder eines kleinen Landbesitzers. Es ist nur wenig über seine Jugend bekannt, sie ist fast vollständig im Dunkeln geblieben. Obwohl er eigentlich nur ein armseliger Proletarier war, ohne Ausbildung und Kultur, würde er es sein, der in der römischen Geschichte am häufigsten das höchste Amt der Republik bekleiden sollte. Unglaubliche sieben Mal wurde er Consul. Angeblich war ihm dies schon bei seiner Geburt prophezeit worden, doch wer hätte glauben mögen, daß sich aus dem bäuerlichen Emporkömmling, dem homo novus (=neuer Mensch, verächtliche Bezeichnung altehrwürdiger römischer Adeliger für Emporkömmlinge), einer der bedeutendsten popularen Politiker entwickeln würde?
Marius fiel zum ersten Mal auf bei der Einnahme Numantias 133, bei der auch schon Jugurtha behilflich war. Er brachte keinerlei Vorraussetzungen zum Politiker mit, war aber ein hervorragender Soldat. Er liebte das Geradlinige, das Disziplinierte (was Zeitlebens so bleiben sollte), und verdiente sich bald einen guten Ruf als militärischer Anführer. Seine politische Karriere ging eher schleppend voran und die Senatoren werden wahrscheinlich hinter vorgehaltener Hand über den ungebildeten Bauernlümmel Marius gelacht haben. Dann heiratete Marius Julia aus dem julianischen Adelshaus und machte sich damit, noch ohne es zu wissen, zum Onkel Caesars. Dennoch hätte Marius Karriere wohl weiter stagniert, wenn er sich an die ihn verachtenden Optimaten gehalten hätte, und so wurde er zum Aushängeschild der Popularen, wozu er durch seine Abkunft schließlich auch prädestiniert war. Nach einem langen und steinigem Aufstieg wurde er schließlich 107 gegen den Willen der Nobilität mit der Unterstützung der Ritter zum Consul gewählt und mit der Beendigung des Jugurtha-Aufstandes beauftragt. Marius machte sich frisch ans Werk und reformierte zuerst das Heereswesen. Er erhöhte die Effektivität des Heeres durch taktische Änderungen und reduzierte den Heerestroß auf ein Minimum. Die Soldaten mußten von nun an beispielsweise auch ihre Verpflegung selbst tragen und waren mit kompletten Marschgepäck, manchmal mit vierzig Kilogramm, beladen (was ihnen den Spitznamen "Marianische Packesel" einbrachte). Vor allem Marius Neffe Caesar sollte durch die gewonnene Erhöhung der Marschgeschwindigkeit bei seinen Kriegszügen profitieren. Desweiteren nahm Marius zum erstenmal auch Freiwillige aus dem Besitzlosen Stand der Römer auf, die dann später völlig auf ihren Feldherren zugeschnitten und fixiert waren. Diese "Heeresklientel" würde spätere Bürgerkriege (Marius/Sulla, Caesar/Pompeius) erst möglich machen, wo sich römische Heere für das Wohlergehen ihrer Feldherren gegenseitig zerrissen.
Marius ging erfolgreich gegen Jugurtha vor, konnte ihn mehrmals besiegen und in die Enge Treiben.

Den Ruhm für den endgültigen Fall Jugurthas (105) konnte allerdings einer seiner Unterfeldherren einheimsen, nämlich Sulla, der durch geschicktes Verhandeln mehrere Unterführer Jugurthas zum Verrat überredete und bald daraufhin eben diesen ausgeliefert bekam (zu Sulla später mehr). Jetzt aber folgte im ausklingenden zweiten Jahrhundert die große Zeit des Marius, der trotz seiner niedrigen Abkunft bald von den Römern "zweiter Erbauer Roms" genannt werden sollte. Der unrühmliche Usurpator Jugurtha wurde übrigens nicht lange später in Rom hingerichtet. Sein Reich erbten Gauda, ein Halbbruder Jugurthas, und Bochhus von Mauretanien.
In die Zeit der Jogurthinischen Kriege fiel auch die Wanderung gewisser Germanenstämme, die den Römern schon bald das Fürchten lehren sollten.
Als 113 Kimbern und Teutonen an den nördlichen Grenzen des römischen Reiches erschienen und bis 105 mehrfach römische Heere schlugen, wurde der erfolgreiche Konsul Gaius Marius (Popularen) angesichts der Bedrohung fünfmal hintereinander 104-100 zum Konsul gewählt. Marius startete eine Heeresreform und ließ auch besitzlose römische Bürger zum Kriegsdienst zu, die sich die Kriegsbeute und eine Abfindung erhofften. So wurde aus dem Bürgerheer ein stehendes Heer von Berufssoldaten, die lange Zeit unter einem Feldherrn dienten. Mit diesem Heer konnte Marius 102 und 101 die Kimbern und Teutonen schlagen und errang hohes Ansehen. So stärkte er die Position der Popularen, die jetzt ihren Forderungen teilweise in Straßenkämpfen Nachdruck verliehen, der Senat überredete Marius aber zum Vorgehen gegen seine eigenen Anhänger.
Aber auch die römischen Bundesgenossen wollten mehr Rechte, die ihnen schon Gaius Gracchus zugesichert hatte und sie sich schließlich im Bundesgenossenkrieg von 89 erkämpften. So erhielten alle Bundesgenossen, die sich zu Rom bekannten, das volle Bürgerrecht. Während im Bundesgenossenkrieg so die römischen Kräfte gebunden waren, besetzte König Mithridates von Pontos (Schwarzmeerküste) die römische Provinz Asia und ließ alle römischen Bürger töten. Deshalb beauftragte der Senat den Optimaten Sulla mit dem Krieg gegen Mithridates, die Popularen ließen allerdings die Volksversammlung diesen Befehl an Marius übertragen. Sulla ignorierte diese Entscheidung und besetzte Rom mit seinem Heer, das sich durch die Umstellung auf ein Berufsheer an seinen Feldherrn gebunden fühlte. Marius floh und Sulla ließ einige seiner Anhänger hinrichten. Während nun aber Sulla gegen Mithridates in den Krieg zog, kehrte Marius wieder nach Rom zurück und tötete Sullas Anhänger. Als Sulla 83 siegreich nach Rom zurückkehrte, brach ein Bürgerkrieg aus, den Sulla 82 gewann, er wurde vom Senat zum Dikator ernannt, um die Republik durch neue Gesetze wiederherzustellen. Dieser nutze die ihm zugestandenen Rechte, um seine Gegner zu beseitigen und die Senatsherrschaft wiederherzustellen. Zudem leitete er viele Reformen im Rechtswesen und Ämtersystem ein.
Im Jahre 73 trat aber ein weiteres großes soziales Problem zutage, das der Sklaven. Mit Spartacus hatten die Sklaven in Italien einen starken Führer, so daß der Sklavenaufstand ein ernstes Problem für das römische Reich war, Spartacus besiegte mehrfach römische Legionen, und der Aufstand konnte erst 71 von Licinius Crassus und Gnäus Pompeius niedergeschlagen werden. Diese gewannen 70 das Konsulat und ließen viele der Maßnahmen Sullas rückgängig machen. Zudem erhielt danach Pompeius große militärische Vollmachten in den Kriegen gegen die Seeräuber und wieder gegen Mithridates. Als Pompeius siegreich zurückkehrte und 62 sein Heer abgab, wollte der Senat die von ihm getroffenen Umstrukturierungen in den Provinzen wieder rückgangig machen, daraufhin schloß Pomeius mit Crassus und Gaius Julius Cäsar ein Geheimabkommen (Triumvirat). So bekräfigte Cäsar 59 in seinem Konsulat Pompeius' Maßnahmen und erhielt den Oberbefehl mehrerer Provinzen und vier Legionen, mit denen er schließlich Gallien eroberte und sich ein treu ergebenes Heer schuf. 54 zerbrach schließlich das Triumvirat, und ein Jahr später fiel Crassus in Asien, Pompeius wandte sich der Senatsmehrheit zu, und seine und Cäsars Anhänger lieferten sich schließlich 49-45 einen Bürgerkrieg, aus dem Cäsar als Sieger hervorging. Dieser errichtete nun eine Alleinherrschaft und leitete ein umfangreiches Reformprogramm. Als sich aber 44 Anzeichen ergaben, daß man Cäsar den Königstitel (rex) verleihen wollte, wurde er am 15. 3. 44 (Iden des März) von Brutus und anderen Senatoren ermordet.

Cäsars Ermordung brachte Cicero wieder zu politischer Geltung. Er wurde ein Führer der Senatspartei, als sie mit Marcus Antonius in den Kampf trat, weil sie in diesem den Nachfolger Cäsars erblickte. Als er Ende 50. v. Chr. nach Italien zurückkehrte, brach der Bürgerkrieg zwischen Cäsar und Pompeius aus. Nach langem Zaudern entschied er sich für Pompeius, weil er dort die Sache der Republik verteidigt glaubte.
In den nun folgenden Bürgerkriegen verbündeten sich zunächst Cäsar Oktavianus, Marcus Antonius und Lepidus zu einem zweiten Triumvirat und schlugen die republikanischen Heere der Cäsarmörder. Nachdem das Reich nun zwischen den Mitgliedern des Triumvirats aufgeteilt worden war, zerfiel auch dieses Triumvirat, und Oktavian wurde alleiniger Herrscher des römischen Reiches.



Das Jahrhundert des republikanischen Verfalls-
Gracchen, Marius, Sulla, Pompeius, Caesar, Cicero

Martin de la Iglesia und Sebastian Werner
zurück

Zurück zur Hauptseite